Durch Kanada zurück nach Alaska

Nach unserer kurzen Stipvisite im Yukon, der auf dem Weg von Fairbanks nach Haines unumgänglich ist, wenn man die Landroute wählt, sind wir wohlbehalten in Haines angekommen. Die Fahrt hierher war überraschenderweise überwiegend baustellenarm. Die einzige nennenswerte (da mehrere Kilometer lange) Baustelle war allerdings genau bei dem Campingplatz in Destruction Bay (am Kluane Lake), den wir eigentlich ansteuern wollten.

Bei der Aussicht auf nächtliche Sprengungen und dröhnende übergroße Baustellenfahrzeuge entschlossen wir uns kurzerhand für die Weiterfahrt. Wäre aber schon interessant gewesen, wie der Fahrer des „pilot cars“ reagiert hätte, wenn er plötzlich seinen einzigen „Verfolger“ am Campingplatz verloren hätte. Zur Erklärung für Alaska-Unerfahrene: „pilot cars“ werden bei längeren Baustellen dazu eingesetzt, um die Fahrzeuge wohlbehalten von einem Ende zum anderen zu bringen. Böse Zungen behaupten, dass dies nur eine alaskanische Arbeitsbeschaffungsmaßnahme ist.

Auf jeden Fall wollten wir gleich weiter bis Haines Junction fahren, wobei wir unterwegs schlapp machten und ein paar Stunden auf einem Parkplatz schlafen mussten. Als wir dann am nächsten Morgen die restliche Strecke nach Haines Jct. fuhren, wurde uns bewusst, dass wir es fast geschafft hatten. Das kommt davon, wenn man nicht auf die Entfernungs-Angaben achtet.

Von Haines Junction ging’s dann über die Berge weiter nach Haines selbst. Dem historischen Dalton Trail folgend windet sich die Haines Road vorbei an einer beeindruckenden verschneiten Bergkulisse, gesäumt von kleinen mit Eisschollen gespickten Seen.

Am Tag nach unserer Ankunft machten wir uns auf den Weg auf den Haines’schen Hausberg, Mt. Riley. Vier lange Meilen bergauf und dann wieder bergab. Eine echte Herausforderung für einen, der den ganzen Tag und die halbe Nacht am Computer sitzt. Aber ich denke, ich habe mich ganz gut geschlagen. Unterwegs spielte ich etwas Chingachgook und entdeckte einen recht frischen Bären-Abdruck, der höchstwahrscheinlich von einem Schwarzbären stammte. Ach deshalb die vielen „You are in bear country“-Schilder. Wer hätte das gedacht. Zum Glück machten wir unser Picknick auf dem Gipfel ohne Bären. Dafür mit einem 360-Grad-Ausblick. Very picturesque.

Zurück in Haines fuhren wir in den Chilkoot State Park, um uns den dortigen Campingplatz anzuschauen. Eingehüllt in eine Moskito-Wolke entschlossen wir uns gegen diese Übernachtungsmöglichkeit und fuhren wieder zurück in Richtung Downtown. Unterwegs machten wir kurz Halt bei Rebeccas Eltern, die eine kleine Bäckerei haben, die allerdings erst Mitte Mai, pünktlich zur Touri-Zeit auf macht. Wir überraschten Sie bei den Vorbereitungen für die Saison. Prompt wurden wir für den nächsten Abend zum Essen eingeladen. Ich bin immer wieder aufs neue von der Herzlichkeit der Alaskaner begeistert. Diese zeigt sich schon beim Autofahren. Gerade wenn man durch Haines fährt kommt man aus dem Grüßen fast nicht mehr heraus. Jeder grüßt hier jeden, egal ob Tourist oder Einwohner. Wobei die meisten Touristen schon etwas zögerlich sind. Da wir das ja bereits aus Fairbanks kannten fiel es uns natürlich schon etwas leichter und wir wunderten uns nicht mehr ganz so sehr. Eine Herzlichkeit, die mir bereits an der Ostküste Kanadas aufgefallen war. Man möge fast meinen, das komme vom martitimen Klima. Vermutlich liegt das aber wohl eher an der besonderen Lebenseinstellung der Bevölkerung dort wie hier.

Auf den Rat von Rebeccas Vater hin fuhren wir heute in den Chilkat State Park, um den felsigen Strand in Richtung Seduction Point zu erkunden. Ehrlich gesagt bin ich immer wider froh, dass wir so früh hier sind und somit den Touristen-Strömen zuvorkommen. So treffen wir unterwegs überwiegend auf Einheimische oder ein paar reisende Rentner. Der Felsenstrand war auf jeden Fall menschenleer. Somit sind wenigstens die Bären dort draußen nicht übermäßig gestört, was natürlich auch die Wahrscheinlichkeit erhöht, dort auf den einen oder anderen Petz zu stoßen. Gerade in einer solch windigen und geräuschvollen Kulisse sollten man schon etwas auf der Hut sein, da wir gegen die Windrichtung liefen und uns die Bären weder hören noch riechen könnten. Diese Vorsicht erwies sich nach einiger Zeit als durchaus angebracht. Astrid war gerade mit der Kamera ein paar Meter weiter, während ich mit dem Fernglas die vor uns liegende Küste inspizierte, als ich ein hellbraunes Fellbüschel in einiger Entfernung erkannte. Ein echter Braunbär. Zum Glück noch einige Hundert Meter weit weg. Da er sich auch in die entgegengesetzte Richtung trollte, wollten wir ihm auch nicht weiter auf den Pelz rücken und machten uns schleunigst wieder auf den Rückweg.

Dinner gab’s dann bei Rebeccas Eltern, Sally und Tom, deren Haus inkl. kleiner Touri-Bäckerei an der Mündung des Chilkoot Rivers in den Lutak Inlet liegt. Versteckt zwischen Fichten hat man aus deren Haus einen traumhaften Blick auf Fluss und Bucht. Wie sie uns berichteten, kommen dort auch regelmäßig Braunbären vorbei, von denen sie wie von alten Bekannten sprachen. Im Auftrag von Forschern schreiben sie deren Auftauchen akribisch auf. Sogar Namen haben die Bären von den Forschern verpasst bekommen, um ihnen die unwürdige Numerierung zu ersparen. Nach dem Essen führte uns Sally in ihren Garten, der nicht nur für alaskanische Verhältnisse beeindruckend war. Die beiden führen aus unserer zivilisatorisch verblendeten Sicht ein Leben wie aus einer anderen Zeit an einem Fleckchen Erde, das einem die Ursprünglichkeit des Lebens jeden Tag aufs neue spüren lässt.

Über Michael Grosch

Michael Grosch studierte Amerikanistik und Geografie in Erlangen. Auf seiner ersten Reise durch Alaska und den Yukon im Jahre 1995 und während eines Auslandssemesters an der University of Alaska Fairbanks im darauf folgenden Jahr wurde seine Leidenschaft für den nördlichsten US-Bundesstaat entfacht. Seither kehrt er immer wieder für längere Reisen in den hohen Norden Nordamerikas zurück.
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