Lebendige Vergangenheit

Oh Mann, oh Mann! Wenn ich gewusst hätte, wie lange die Überfahrt von Juneau nach Skagway dauert, hätte ich mir nochmal überlegt, ob wir es wirklich in unseren Reiseplan aufnehmen sollen. Aber im Nachhinein war es gut so, denn es war ja nach den überwundenen Anfangsschwierigkeiten wunderschön (und ihr wisst ja, je länger etwas zurückliegt, desto schöner wird es) und außerdem kommt man ja wirklich nicht so leicht hin – also once in a lifetime. Ich glaube, die wenigsten Alaskaner haben ihre Hauptstadt schon einmal selbst besucht. Es hat uns jedenfalls fast den ganzen Tag gekostet, von Juneau in die alte Goldgräberstadt Skagway zu kommen (da es der erste wirklich verregtnete Tag war, war es aber ganz o.k.).

Abends legten wir dann, wie einst die hoffnungsvollen jungen Golgräber etwa hundert Jahre vor uns, im beschaulichen Hafen der historischen Stadt an. Es war wunderschön, all diese gut erhaltenen Häuser, Saloons, Bars und Einkaufsläden zu sehen, und all die Menschen, die über die hölzernen Bürgersteige flanierten. Wären sie nicht ganz so modern gekleidet gewesen, mann hätte sich leicht in die Zeit der Goldgräber und Glückssuchenden zurüch versetzt fühlen können. Nach einem Spaziergang durch die Stadt machten wir einen Einkehrschwung im Red Onion Saloon, der damals zu den angesagtesten Etablissements der Stadt gehört hat – ein wirklich geschichtsträchtiger Ort und auch heute noch sehr beliebt bei Touristen, Einheimischen und unzähligen jungen Leuten aus aller Welt, die ihr Geld als Tourguides hier verdienen.

Am darauffolgenden Tag, der uns in gewohnter Weise mit strahlendem Sonnenschein begrüßte, entschlossen wir uns einen netten Platz für ein ausgiebiges Morgenmahl zu suchen und fuhren raus aus Skagway Richtung Dyea, einst eine Boomtown des Goldrausches, heute zu Staub und Rost zerfallen. Auf der Suche nach einem netten Picknickplatz fanden wir einen Gruppe von Leuten, die auf einen geführten Hike mit einer Rangerin warteten. Nach einigem Hin-und-Her (ich hatte ja noch nichts gefrühstückt!!!) entschlossen wir uns, mitzugehen. Micha hat nämlich ständig Bedenken, allein mit mir irgendwo rumzuwandern, weil ja jeden Augeblick ein Bär auftauchen könnte. Aber das ist schon o.k. Ich hab nur so ’ne große Klappe, weil ich noch nie einen aus der Nähe gesehen habe. Auf alle Fälle war das eine sehr gute Entscheidung, denn unsere Führerin Connie vermittelte uns ein sehr anschauliches und lebendiges Bild der ehemals 10.000-Seelen-Stadt, von der heute nur ein paar armseelige Balken, Bretter und rostige Relikte übriggeblieben sind. Alles ist genauso schnell wieder vergangen, wie es entstand – und das ganz spurlos, denn die Bauwerke waren alle nur aus Holz. All das ist heute verrottet oder, wie Connie uns erzählte, von faulen Campern als Brennholz verwendet worden. Tja, es ist ein ständiges Werden und Vergehen.

Mann kann da schon ein bisschen wehmütig werden. Um diese Stimmung noch zu verstärken, besuchten wir den Slide Cemetery, einen alten Friedhof in der Nähe von Dyea, wo all die toten Goldgräber begraben sind, auch unzählige die bei einem schlimmen Lawinenunglück 1898 umgekommen sind. Dass ist schon eine einzigartige Atmosphäre, im stillen, vom Regen der vorherigen Nacht dampfenden Wald zu stehen und sich die Schicksale so vieler junger, hoffnungsvoller Menschen vorzustellen, die dann so jäh beendet wurden. Aber genug der Sentimentalität – wir leben im hier und jetzt und ich hatte immer noch nichts hinter die Kiemen beommen. Also Mission Frühstück oder beser Brunch. Vorher passierten wir aber noch den Einstieg zum Chilkoot-Trail, den wir wegen Schnee und Eis auf dem Pass abgesagt haben. Ich denke, das war wirlich das Beste, denn mich hat ja teilweise auf dem Zeltplatz schon im Zelt gefroren. Außerdem haben wir uns einen Film im Touri-Infocenter angeguckt und der Trail ist schon bei schönem Wetter kein Zuckerschlecken. Also ich denke, das ist eines der Dinge, die beim nächsten Alaska-Besuch anstehen. Ja ihr habt Richtig gehört, ich denke wirklich, das ich nochmal wiederkommen muss…

Nach der mittlerweile sehr notwendigen Essensaufnahme (Bei leerem Magen werde ich leicht unleidig…) fuhren wir zurück nach Skagway und machten eine Stadtführung mit. Also diese Ranger sind ja wirklich ein lustiger Haufen – die reinsten Entertainer und man hat nie das Gefühl, dass ihnen die Touris auf die Nerven gehen, obwohl sie unzählige davon pro Saison durch die historischen Straßen schleusen. Unser Guide erzählte uns sehr anschaulich, was sich vor gut hundert Jahren so in den Straßen von Skagway ereignet hat und einige Interessante Strorys über die Schicksale einzelner Glückssuchender. Wie die Geschichte der jungen Mary, die der Aufforderung ihres Verlobten folgte und mit dem Schiff nach Skagway kam, um ihn, der mittlerweile Gold gefunden hatte, zu heiraten. Sie mietete sich im Hotel der Stadt ein und wartete auf sein Auftauchen. Eine Woche, zwei, drei – doch er kam nicht. Irgendwann ist sie dann aus lauter Gram gestorben. Und natürlich sieht man ihren Geist dann und wann, in ihrem Hochzeitskleid, durch die Gänge des Hotels irren, auf der Suche nach ihrem verschollenen Geliebten … Schöööön traurig, gell? Schnief. Soviel zur Historie oder was ich mir davon gemerkt habe. Leider mussten wir der Stadt schon am Nachmittag den Rücken kehren, um am Abend in Whitehorse zu sein. Also: hit the Road, Jack …

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