Raus aus der Stadt

Es ist soweit – wir starten in die Brooks Range, natürlich nicht ohne vorher nochmal bei Fred Meyer unsere Vorräte aufzufüllen. Torsten hat echt königlich eingekauft und ich freu‘ mich schon auf unseren Abend am Lagerfeuer. Vorher stehen uns aber erst mal acht Stunden Fahrt auf dem unbefestigten, löchrigen Dalton Highway bevor und das hinten in Torstens Pickup, wo es eigentlich keine Sitze, sondern nur Notsitze gibt. Gut, dass wir nicht so groß sind! Nach einer endlos langen Fahrt machten wir Halt in Coldfoot um unseren letzten Burger (für Torsten und Matthias der letzte für drei Monate, so lang wird ihre Kanutour vorraussichtlich dauern) zu verspeisen. Danach suchten wir uns einen netten Zeltplatz am Kiesufer des Koyukuk, wo wir Torstens Zelt aufstellten. Das ist cool, man lässt sich einfach nieder, wo es einem gefällt und macht ein Lagerfeuer … Nach der Lagerfeuerromantik hauten wir uns im Zelt aufs Ohr. Also mal ehrlich, zuerst hatte ich ja schon meine Bedenken – na ihr wisst schon, ob es sich „schickt“ allein mit drei Männern in einem Zelt zu schlafen. Aber das ist ja hier das schöne: niemand schert sich drum, was sich schickt, man ist hier einfach nur Mensch und setzt sich nicht selbst irgendwelche Grenzen oder macht sich ’nen Kopf um Nebensächliches.

Am nächsten Morgen, ich hatte hervorrragend geschlafen, obwohl wir unsere Matten direkt auf den Flusskieseln aufgeschlagen hatten, gab’s wieder mal eine Härteprobe für meinen Magen zu bestehen: Breakfast Sausages – Würstchen zum Frühstück. Ihr könnt euch vorstellen, wie begeistert ich war. Aber zum Glück hatten wir ja Pilot Bread dabei, eine Art Cracker, mit denen ich mich über den Tag retten konnte. Das war auch bitter nötig, denn Torsten und Matthias legten bei dem anschließenden Hike ein derartiges Tempo vor, dass uns schon nach zwei Stunden die Zunge raushing. Landschaftlich war es allerdings sehr eindrucksvoll – und das obwohl mir die arktische Vegetation nicht so gut gefällt, wie die Rainforests des Südens. Aber auch der Norden hat durchaus seinen Reiz, das muss ich zugeben. Als wir dann so gegen fünf am Zelt ankamen, setzte der Regen ein und verbannte uns erst mal ins Zelt – da machten wir einen Imbiss aus getrocknetem Elch- und Rindfleisch mit Pilot Bread. Als der Regen dann aufhörte gingen wir zu einem opulenteren Gang über. Unser Koch Torsten briet Bacon und Fleisch, anschließend gab’s Kartoffelbrei mit brauner Sauce sowie „refried beans“. Das war eine Offenbarung nach diesem anstrengenden Hike. Abends machten wir dann noch einen Spaziergang im Flussbett, bei dem es jede Menge (frische) Tierspuren zu bestaunen gab.

Am Dienstag Morgen war es dann endlich soweit: Torsten bereitete frisches Bannock für uns alle zu. Bannock ist ein alaskanisches Brot, das man in der Pfanne über dem Lagerfeuer macht. Total lecker. Danach beschloss ich, mich mal der Körperhygiene zu widmen und nahm ein Bad im Fluss – eine sehr erfirischende Erfahrung. Überhaupt, das Thema Sauberkeit betrachtet man hier mit ganz anderen Augen. Ich hatte ja im Vorfeld so meine Bedenken, als Micha mir geschildert hat, wie es so sein würde in Alaska: mehrere Tage ohne fließend Wasser und Strom. Ich hätte echt nicht gedacht, dass es mir so wenig ausmachen würde, mich mal nur im Fluss zu baden oder fünf Tage die Haare nicht zu waschen (daheim mache ich das nämlich täglich, also das mit den Haaren). Es stimmt schon, das hier ganz andere Dinge in den Vordergrund treten.

Danach galt es, das Camp abzubauen und nach Wiseman zu fahren, wo Torsten und Mattias ihr Kanu zu Wasser lassen wollen. Nach einem kleinen Trip durch Wiseman, das, wie fast alle kleinen Siedlungen hier, eine Goldgräbervergangenheit hat, begaben wir uns zum Fluss um die 660 Pfund Proviant, verpackt in wasserdichte Säcke, zum Ufer zu schleppen. Gerade als wir im Schweiße unseres Angesichts alles hingetragen hatten, fällt den Herren ein, dass wir doch lieber alles wieder raufschleppen sollten, weil „mann“ jetzt doch lieber nochmal nach Coldfoot möchte, um einen Burger zu essen (jetzt aber wirklich den letzten) und ’ne kalte Coke zu trinken. Also gesagt, getan – 660 Pfund retour. Was tut man lieber bei ca. 30 Grad Celsius und Wolken von Moskitos, die um einem herumschwirren (das mit den Moskitos ist übrigens ’ne Story für sich, wenn ich da jetzt anfinge euch meine Leidensgeschichte zu erzählen …).

Nach unserer kleinen Stärkung kamen wir elanvoll zurück um die 660 Pfund zum dritten Mal rumzuschleppen – da begann es zu regnen. Na toll! Wer hatte gleich die Idee mit Coldfoot? Also hieß es mal wieder ein kleines Camp aufschlagen, Feuer machen, Kaffee kochen und abwarten. Das ist das schöne an den Menschen hier: Wenn irgendwas nicht nach Plan läuft, kriegen sie nicht die Krise, sondern machen einfach das Beste aus der Situation – indeed, wie unser Freund Matthias zu sagen pflegt. Als der Regen aufhörte und die Götter durch Opfergaben milde gestimmt waren, ging’s dann ans Packen. Gar nicht so einfach, dieses immense Gewicht unterzubringen, vor allem mussten ja Torsten und Matthias (beleibe keine Schwergewichte) auch noch rein. Aber es ging alles rein – nun blieb uns nur noch, Lebewohl zu sagen. Gar nicht so einfach, denn ich hatte die beiden schon richtig ins Herz geschlossen. Mögen die Flussgötter ihnen wohlgesonnen sein.

Micha und mir blieb nur noch, Torstens Truck wieder nach Fairbanks zurückzuholpern, wo wir nach einer langen Fahrt um halb vier morgens endlich ankamen.

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